
Bildrechte: Verwaltung des Herzogs von Bayern
Fotograf: Sigi Müller
Q & A anlässlich des 90. Geburtstag von Herzog Franz von Bayern
Frage: Sie feiern Ihren 90. Geburtstag. Vicco von Bülow alias Loriot meinte einmal: „Altern ist eine Zumutung!“ Wie empfinden Sie das?
SKH Franz von Bayern: Älterwerden ist nicht ganz einfach, hat aber auch Vorteile: Man regt sich nicht mehr so leicht auf, weil man die Erfahrung hat, dass sich sehr vieles von selbst regelt. Wenn die Weichenstellungen stimmen, braucht man sich nicht ununterbrochen selbst darum kümmern, dass alles so läuft, wie es laufen soll. Prioritäten verschieben sich und man wird viel nachdenklicher. Man sieht Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit ebenso wie oft unverdiente Glücksfälle, aber allzu viel Nachgrübeln hilft da nichts. Die Dinge sind jetzt so, wie sie sind. Das Lebenselixier aber bleibt die Neugier.
Frage: Wenn Sie zurückblicken, gibt es etwas, das Sie anders machen würden?
SKH Franz von Bayern: Ja, vieles und immer häufiger denke ich darüber nach, dass ich wohl viel zu wenig Anerkennung für andere ausgesprochen habe. Das wäre sicher noch oft ganz wichtig gewesen, aber ich verfüge nicht über sehr viel Talent im Aussprechen von Lob und habe da wohl viel versäumt.
Frage: Sie haben Sie den Posten als Familienchef der Wittelsbacher angenommen in einem Alter, in dem man in der Regel in Rente geht. War das ein großer Schritt?
SKH Franz von Bayern: Als Familienchef anzutreten ist ein Entschluss, den jeder, der so eine Aufgabe übernehmen soll, zunächst einmal für sich durchdenken muss. Mache ich es oder mache ich es nicht? Und wenn man diese Position dann übernimmt, fasst man solch einen Entschluss mit allen Konsequenzen. Allerdings war ich, als mein Vater starb, in dem Alter, in dem alle meine Altersgenossen in den Ruhestand gingen. Ich war 63 Jahre. Es ist dann wie in jedem Beruf: Man schaut, was. man machen will und was eigentlich das Richtige wäre. Jedem, der ein Unternehmen führt, geht es genauso wie mir. Ich habe mir die Leute angesehen, mit denen ich es zu tun hatte: Was kann ich von dem erwarten, was muss ich bei dem berücksichtigen, wie bringe ich die zusammen, damit ich weiterbauen kann? Es ging auch darum, in der Familie den Frieden zu erhalten und eine Familienpolitik mit Augenmaß zu betreiben. Ich musste immer wieder abwägen und auf eine gewisse Gerechtigkeit achten! Das Wichtigste aber ist, Wert und Ansehen der Familie im ganzen Land über alle Entwicklungen hin weg zu erhalten. Und ein wenig Spaß und Humor gehören dann auch dazu.
Frage: Sie sagen, Sie waren immer ein „freier Mann“. Was genau meinen Sie damit?
SKH Franz von Bayern: Freiheit ist die Möglichkeit zu einem nicht eingeschränkten Denken und Handeln. Man muss aber akzeptieren, dass die eigene Freiheit dort aufhört, wo das Recht des Nächsten anfängt. Es gibt keine Überlappung, durch die meine Freiheit die Freiheit eines anderen beschränken dürfte. Da muss ich mich zurücknehmen. Alles andere ergibt sich daraus: in Fragen der Politik, in Fragen unseres Rechtscodex, unserer Phantasie, unseres Geschmacks. Diese Grenze, dass Freiheit nicht in Zügellosigkeit ausartet, muss man sich selbst setzen. Um das zu erkennen, helfen viele moralische Traditionen als Erfahrungsschatz, ohne den wir sehr viel mehr Dummheiten machen würden. Dabei bin ich vielleicht auch selbst an vielem vorbeigelaufen, weil ich in meiner Freiheit einfach irgendwo hingerannt bin, ohne rechts und links zu schauen: auf die Erkenntnisse, auf die Gescheitheit anderer, auf große Gedanken und große Kunst. Nicht nur das Vermeiden des Missbrauchs von Freiheiten, sondern vielmehr noch das Durchdenken von dem, was man in aller Freiheit tun könnte und dann umsetzt, bewundere und achte ich.
Frage: Es ist auch an der Zeit, nach vorne zu blicken. Wie sehen Sie Ihre Nachfolge?
SKH Franz von Bayern: Ich kann mich nur bemühen, dass ich meinen Nachfolgern so viele Chancen erhalte wie nur irgend möglich. Ich würde mich schuldig fühlen, wenn ich Chancen unnötig verspielen oder vergeben würde, die ihnen dann nicht mehr offenstehen. Was sie daraus machen, ist ihre eigene Sache, ist dann ihr Leben. Die jüngeren Generationen in unserem Land haben nicht die geringste Erinnerung mehr an eine Zeit, in der unsere Familie noch eine Rolle gespielt hat. Vielleicht gibt es noch die Kenntnis über einzelne Persönlichkeiten. Aber auch das wird weiter verblassen, und natürlich werden dann immer mehr Fragen gestellt. Folglich müssen wir immer wieder darüber nachdenken, wie wir präsent bleiben, denn sonst können wir im Land nicht mehr mithelfen. Das ist eine Aufgabe – das ist meine Aufgabe, und schließlich ist man ja dafür da, dass man seine Aufgaben angeht.
Frage: Sie begannen bereits als Student, zeitgenössische Kunst zu sammeln und haben bis heute Großteile Ihrer Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Welche Bedeutung hat Kreativität für Sie persönlich?
SKH Franz von Bayern: Kreativ sein bedingt wohl zunächst die Bereitschaft, eine gestellte Frage zu beantworten oder etwas Gewolltes oder Geplantes zu gestalten. Es ist wichtig, das Vorhandene einigermaßen zu beherrschen und dann frei und neugierig genug zu sein, genug Phantasie zu haben, um über das Bekannte und Mögliche hinaus zu gehen. Kreativität bedeutet auch, Dinge zu tun oder zu schaffen, die es noch nie gegeben hat oder auf eine Art, die niemand schon vorgedacht hätte. Ich sagte einmal einem Künstler: „Für Sie muss doch das wunderbar sein, Sie beherrschen alle Möglichkeiten und können allem Form geben, was Sie sich denken.“ Er antwortete darauf: „Nein, es ist andersherum. Ich stehe jeden Morgen vor einer leeren Leinwand. Und habe keine Ahnung, was daraus wird oder ganz selten einen präzisen Plan da¬von, was ich machen will.“ Solche Bemerkungen gaben mir einen Begriff davon, wie sehr gerade ein Künstler Grenzen überschreiten muss, um wirklich etwas Neues zustande zu bringen: Mit jedem Schritt begleitet ihn die Möglichkeit des Scheiterns. Er nimmt sie auch in Kauf. Kreativität heißt aber nicht nur, dass jeder Kreative etwas Neues für die ganze Menschheit machen muss. Sehr viele Leute sind kreativ, wenn sie sich ihre eigene Welt bauen müssen, obwohl sie genau das tun, was alle anderen auch machen. Ich selbst habe eine Zeitlang gerne Comics gezeichnet: Das war einfach eine kleine Ausdrucksmöglichkeit. Ich bin Donald-Duck-geprägt und inzwischen das älteste Mitglied im Micky-Maus-Club. Sonst war ich nicht sehr kreativ.
Frage: Sie haben bereits in Ihrer frühen Kindheit, während der Flucht Ihrer Familie vor den Nationalsozialisten, im Exil und dem Aufenthalt im KZ, sehr einschneidende Krisen erlebt. Was hat das in Ihnen ausgelöst?
SKH Franz von Bayern: Ich empfand ganz selten etwas als Krise. Es waren ständig Fragezeichen da: Was ist falsch, was ist richtig, wie gehe ich mit irgendeiner Situation um, wie bringe ich es dazu, dass am Ende das geschieht, was ich möchte, agiere ich direkt oder indirekt, oder wie löse ich einen Konflikt? Es gibt Krisen in der Außenwelt: Corona ist zum Beispiel eine Krise für alle. Auch die Kirche steckt in einer tiefen Krise; ich meine zwar, sie ist auf dem besten Weg heraus, aber noch ist sie drin. Andere Bereiche werden noch tief in Krisen hineingeraten, wie ich meine. Aber ich selbst? Vielleicht gesundheitlich das eine oder andere Mal, aber da hatte ich mehr das Gefühl: „Jetzt bin ich gespannt, wie das nun ausgeht“. Angst vor Krisen kenne ich eigentlich nicht. In mancher Hinsicht hilft mir da auch mein Gottvertrauen, das gibt Stabilität. Ich nehme vieles, wie es eben ist, weil zu viel Aufregung gar nichts bringt, wenn man nicht selber zur Lösung beitragen kann. Es gibt immer Sorgen, aber die müssen einen nicht beängstigen, das wäre falsch. Die Konsequenz aus Sorgen muss sein, dass es eine verstärkte Anstrengung braucht, um aus einer Situation wieder unbeschadet herauszukommen. Gegen Krisen und Sorgen hilft eine gesunde Mischung von Vorsicht und Leichtsinn.
Frage: Hatten oder haben Sie Träume, die erfüllt bzw. unerfüllt sind?
SKH Franz von Bayern: Der Raum für Träume ist unendlich groß. Meine Träume haben sich immer wieder geändert. Die Verwirklichung großer Träume konnte ich mir ohnehin nicht leisten. Ich habe relativ früh in Griechenland auf einer einsamen Insel ein kleines Haus gebaut, das ich auch selbst gestalten konnte, bei dem nichts vorgegeben war. Das war der Traum von einer gewissen Möglichkeit der Freiheit und der Traum vom Leben auf einer einsamen Insel. Aber zumeist waren meine Aufgaben vorbestimmt. Und die einzige Entscheidung war: Akzeptiere ich sie oder sage ich Nein und mache etwas ganz anderes? Aber wenn man etwas akzeptiert hatte, waren die Grundaufgaben definiert. Träume habe ich mir da nicht viele geleistet. Darüber hinaus fällt mir eigentlich nur die Kunst ein: Der Traum von einem Musee imaginaire mit großartiger Kunst für Bayern ist ein für mich typischer Traum – ein Traum, so wie andere von wunderbaren Autos träumen, die sie gerne hätten. Reisen habe ich mir einfach herausgenommen. Da träumte ich nicht vorher, sondern schaute, wie ich hinkomme und wo ich hinkommen will, und fuhr los. Einzelne Traumziele gibt es aber schon: So war zum Beispiel Ravenna immer ein Traumziel, das ich aus irgendwelchen Gründen nie erreicht hatte; diese Reise ist jetzt endlich auch gelungen. Indien wäre auch noch so ein Traum. Aber meine Ärzte haben mir gesagt, für die Zukunft seien nur noch solche Reiseziele erlaubt, von denen ich innerhalb von drei Stunden mit dem Flugzeug wieder in der Heimat sein kann, um die nötige ärztliche Versorgung zu bekommen. Die Gartenschere zu den Träumen!
Frage: Bereuen Sie es, manche Chancen nicht genutzt zu haben?
SKH Franz von Bayern: Man macht im Leben ständig Fehler, aber noch schwerer wiegt, dass man sehr vieles versäumt. Oft ist eine nicht gefällte Entscheidung eine Fehlentscheidung: Man dachte zu klein und hätte eigentlich viel größer denken müssen, man hätte sich in etwas einmischen oder etwas bewirken sollen und hat gar nichts getan, und es ist dann auch nichts geschehen, aber eigentlich hätte etwas geschehen müssen. Wenn mir etwas nachgeht, dann so ein Versagen. Nach einem längeren Leben geht das wohl jedem so, wenn man zurückschaut: Man sieht, was man bewirkt hat oder bewirken konnte und was gut gelungen ist. Aber es überwiegen doch die Dinge, die man eigentlich noch hätte bewirken oder machen sollen und die man nicht gemacht hat infolge von Nichtverstehen, Zaghaftigkeit, einfach wegen Faulheit oder Phantasielosigkeit. Wie oft hätte man in irgendwelchen Diskussionen oder Gesprächen oder bei Entscheidungen eigentlich aufstehen müssen und hätte etwas sagen müssen und ist sitzen geblieben! Sehr oft auch, weil man gar nicht kapiert hat, was jetzt eigentlich angesagt gewesen wäre. Denn das setzt Wachheit voraus, dieses Hellhörig-Sein für das, was jetzt geschieht, was sich da anbahnt. Und wie oft hätte man viel mehr loben müssen. Das sind die verpassten Chancen. Wenn man zurückschaut, sagt man sich immer: „Was hätte man nicht noch alles machen können, wenn es einem rechtzeitig eingefallen oder wenn man energischer gewesen wäre!“ Die eigene Lebensaufgabe und das Pflichtbewusstsein dienen dabei als Messlatte der Prioritäten und als Einordnung der möglichen Chancen. Das ist ein Ganzes im Leben, dazu gehört, was getan werden muss, aber retrospektiv auch, was noch alles hätte getan werden können. Vielleicht hat man gar nicht so vieles falsch gemacht, aber was man alles hätte machen können und hat es nicht gemacht, das ist ein Rucksack, der ganz schön drückt.
Frage: Sie haben nahezu ein ganzes Jahrhundert miterlebt. Wie sehen Sie als „Zuschauer in der ersten Reihe“ die Zukunft?
SKH Franz von Bayern: Jede nächste Minute ist für mich Zukunft und Hoffnung. Die Neugier darauf bleibt. Natürlich weiß ich, dass meine Zeit beschränkt ist, mit diesem Bewusstsein lebe ich. Aber das Interesse auf alles, was auf uns zukommt, bleibt unverändert lebendig. Das betrifft die Chancen wie auch die Sorgen. Es besteht durchaus die Aussicht, dass wir bald auf einigen gewohnten Luxus und einige Bequemlichkeiten verzichten müssen, die wir uns, ohne an ihre Auswirkungen in der Zukunft zu denken, erlaubt haben. Wir haben einfach nicht das Recht, alle Folgelasten unseres Lebensstils der nächsten Generation aufzubürden. Wir müssen schon selbst anfangen umzudenken – das gehört ganz wesentlich zum Bild der Zukunft.
Die letzten zwei Jahre haben in dieser Hinsicht vieles wieder sichtbar gemacht. Das Bild des ständigen Aufstiegs, der stetigen Verbesserung, hat sich als Trugbild herausgestellt. Die Pandemie war in dieser Hinsicht eine wirksame Warnung. Aber wer konnte sich vorstellen, dass in unserem freien, friedlichen Europa plötzlich ein verbrecherischer Angriffskrieg vom Zaun gebrochen werden könnte! In diesem Angriff, aber auch in manchen Hassreden und in Tendenzen zu Ausgrenzungen tauchen alte verschwunden-geglaubte Gespenster wieder auf. Geht das Bewusstsein verloren, dass das Zusammenleben neben geschriebenen Gesetzen auch das Einhalten von Spielregeln braucht?
Ich werde immer wieder gefragt, was ich von der heranwachsenden Generation halte. Ich sehe da sehr viel positives Potential für eine gute Zukunft, einen wunderbaren Einsatz für große Themen, die für die ganze Menschheit wichtig sind und nicht so sehr für die eigenen persönlichen Interessen. Und das durchaus auch verbunden mit der Bereitschaft zu persönlichem Verzicht. Gewaltige technische Entwicklungen eröffnen neue Welten und neue Chancen. Die Gefahren, die damit verbunden sind, werden diesen jungen Menschen aber auch eine ständige, anstrengende Selbstdisziplin abverlangen. Ich habe als Kind oft zu hören bekommen: „Ihr armen Kinder, in was für eine Zeit kommt ihr hinein!“ Aber das ist eine müßige Frage. Wir haben in unserer Zeit gelebt, und es war eine wunderbare Zeit. Man muss allerdings immer darauf vorbereitet sein, dass sich ganz neue, unvorhersehbare Dinge ergeben. Aber diese junge Generation wird in einem neuen Bewusstsein, mit sehr viel mehr Menschen auf der Welt und mit größeren Verpflichtungen für alle Menschen über alle Erdteile hinweg ihre eigene neue Zeit gestalten.
Man kann nur hoffen, dass keine weiteren großen Katastrophen eintreten. Die Pandemie kann in dieser Hinsicht ein ganz unerwarteter wirksamer Schreckschuss gewesen sein. Er hat uns allen klar gemacht, dass wirklich Schlimmes passieren kann. Als Kind habe ich ja schon Szenarien der totalen Auflösung erlebt. Wir sehen heute nur die, die damals überlebt haben; jene aber, die ohne eigene Schuld entkräftet auf der Strecke geblieben sind, sehen wir nicht mehr. Es ist stets viel Glück und Schicksal mit im Spiel, aber schließlich ist jeder für sich selbst gefordert. Das Unvorhergesehene sollte dabei stets in Rechnung gestellt werden – und, soweit es mich be¬trifft, hat es sich im Rückblick betrachtet oft als ein Glück herausgestellt. Die Zukunft kann gelingen, wenn wir Solidarität wieder zu einem zentralen Leitbegriff unserer Gesellschaft machen. Darauf setze ich meine Hoffnung.
(Quelle: Franz von Bayern „Zuschauer in der ersten Reihe“, C.H. Beck Verlag)